Markus Sternlieb

- Schöner wohnen in der jungen Industriestadt

Markus Sternlieb hat Ludwigshafen viele das Stadtbild prägende Bauten hinterlassen

- Verfolgt, verfemt und lange vergessen

„Dem privaten Bau in künstlerischer Hinsicht Richtung geben“ - das war eines der Ziele von Markus Sternlieb. Der Architekt und Ludwigshafener Stadtoberbaudirektor wollte Qualität, Wohnkultur und Ästhetik auch im „normalen“ Wohnungsbau durchsetzen - und das unter widrigen Umständen. Es ist ihm in der boomenden Chemiestadt der Zehner und Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in weiten Teilen gelungen. Neben den von ihm geplanten Repräsentativbauten, die heute noch Stadtbild prägend sind, setzte der erste Direktor der 1920 gegründeten „Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Wohnungsbau“ (GAG) auch im (Massen-)Wohnungsbau deutliche Akzente.

Dabei ging Markus Sternlieb den Weg von der zunächst bevorzugten historisierenden Bauweise mit Jugendstilelementen zur klaren, nüchternen Architektur der Moderne, des Bauhauses. Die ersten von ihm geplanten größeren Bauten zeigen klassische Elemente, wie das 1910 für das Rote Kreuz errichtete Haus in der Bürgermeister-Kutterer-Straße oder aber das viel bekanntere und weithin sichtbare Stadthaus Nord am Europaplatz, das aussieht wie ein kleines Schloss. Seine späteren Bauten jedoch, vor allem die großen Wohnungsbauprojekte, weisen die klaren Linien, die schnörkellose Bauweise der Bauhausarchitektur auf.

Als der im heutigen Rumänien geborene Markus Sternlieb vor dem Ersten Weltkrieg nach Ludwigshafen kam, fand er eine Stadt im Werden vor. Die junge Gemeinde wuchs in atemberaubendem Tempo, vor allem die BASF lockte innerhalb kurzer Zeit Tausende von Arbeitssuchenden. Lebten 1853, als Ludwigshafen selbstständige Gemeinde wurde, knapp 1600 Menschen in der Stadt, so waren es nur 50 Jahre später bereits über 72.000 !

Die Wohnungsverhältnisse waren für eine große Zahl von Einwohnern dementsprechend katastrophal. Es gab zu wenig Behausungen, die vorhandenen waren vielfach zu klein. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Wohnungsbaupolitik schließlich staatlich geregelt, und auch die Stadt Ludwigshafen ging tatkräftig daran, die chaotische Situation auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern.

Die Heimstättensiedlung im heutigen Stadtteil Gartenstadt war ein erster Schritt. Der „Rote“ und der „Grüne Hof“ entstanden. Die noch heute fast unveränderte weiträumige Anlage ist ein Beispiel für die Verbindung von traditionellen Strukturen - die schlichten zweigeschossigen Häuser sind um weite, teilweise begrünte Innenhöfe gruppiert - mit moderner Architektur. Ab 1920 übernahm die GAG unter Sternliebs Leitung die Bauplanung und -durchführung. Rund 1000 Wohnungen in ähnlichem Stil entstanden in den kommenden Jahren in allen Teilen der Stadt - der Blücherblock im Hemshof, die Herdersiedlung in Mundenheim, später die Westendsiedlung.

Hygiene und Ästhetik, „gesundes Wohnen“ und ganzheitliches Denken waren Leitthemen für Sternlieb. Die Wohnungen waren großzügig geschnitten und hell, bildeten Ensembles, wo soziale Kontakte aufrecht erhalten werden konnten. Sternlieb setzte dies trotz der drängenden Wohnungsnot und hektischen Bautätigkeit im sozialen Wohnungsbau durch. Paradebeispiel für diese Architektur ist die heutige Ebertsiedlung (früher Hindenburgsiedlung) am Ebertpark. Die riesige Wohnanlage mit mehr als 600 Wohnungen entstand Ende der Zwanziger Jahre. Weiträumig ist die Siedlung, die heute nach schweren Kriegsschäden und der noch andauernden Sanierung der letzten Jahre fast unverändert ist. Große Grünflächen und Kinderspielplätze mit Planschbecken plante Sternlieb ein. Hohe, von Säulen gestützte Durchgänge lockerten die Fassaden auf. Die Wohnungen besaßen Bäder, Einbauküche und Zentralheizung. In dem riesigen Wohngebiet, das sich halbkreisförmig zum Ebertpark hin öffnet, waren bei der Eröffnung unter anderem zahlreiche Läden, Malerateliers, ein Kindergarten, ein Fernheizwerk und eine zentrale Waschküche untergebracht - ganzheitliches Wohnen.

Die Siedlung steht heute unter Denkmalschutz, wie viele der von Sternlieb geplanten und erbauten Bauwerke, die 1913/14 erbaute Rheinschule etwa, in der Sternlieb eine Sternwarte im Turm unterbrachte.

Noch 1931 schrieb Sternlieb: „... denn wir wollen auch fernhin nicht nur ,Wohngelegenheiten‘, sondern auch ,gesunde Dauerwohnungen· schaffen.“ Viel Zeit dazu blieb ihm nicht mehr. Der aufziehende Nationalsozialismus bereitete nicht nur der modernen Architektur, der Bauhausidee, ein Ende, sondern letztlich auch dem Wirken des jüdischen Architekten. Die Umstände seines Ausscheidens aus dem Amt und seines Todes sind bis heute ungeklärt.

Und obwohl Markus Sternlieb in dem Vierteljahrhundert seines Wirkens in Ludwigshafen der Stadt durchaus seinen Stempel aufdrückte, war der Architekt über Jahrzehnte völlig vergessen. Von den Nazis geschmäht, die seine Familie verfolgten, von der Nachkriegszeit übersehen. Erst in den letzten Jahren ist der Stadtbauer mit den damals fortschrittlichen und neuen Ideen wieder entdeckt worden. Vor allem dem früheren Dekan Friedhelm Borggrefe und Walter Braun, als technischer Vorstand der GAG einer der Nachfolger Sternliebs, ist dies als Verdienst zuzuschreiben. Braun hat dazu lange in den Archiven der GAG geforscht und dabei einiges unbekanntes über den Architekten zu Tage gefördert.

Vor zwei Jahren schließlich ist auf Borggrefes Initiative im Hof der von ihm geplanten Rheinschule ein Gedenkstein für Markus Sternlieb errichtet worden. Eine späte Genugtuung auch für Sternliebs Nachkommen, die aus diesem Anlass aus den USA angereist kamen. Markus Sternlieb ist auf dem jüdischen Friedhof der Stadt Ludwigshafen begraben.

Quelle: Ulrike Minor
DIE RHEINPFALZ
09. Oktober 2004

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