3.1. Zentrale Organisation
(l) Zentrale Organisation: Er errichtet ein einheitliches System der öffentlichen Bildung, das eine durchaus beabsichtigte Sogwirkung auf den privaten Sektor ausübt.

Die befreiende Folge dieses Maßnahmenbündels liegt in der Aufhebung der ständisch-beruflichen Gliederung des Schulwesens durch die Abschaffung aller Privilegien in den staatlichen Einrichtungen. Jedem Kind stehen formal die gleichen Bildungsmöglichkeiten offen. Fichte spricht hier von einer Entprivilegierung des Adels durch die Gleichheit aller vor der staatlichen Prüfungskommission. Daraus erwächst schließlich eine noch nie dagewesene soziale Mobilität (vgl. Lübbe, Nr. 47: 244 f.)1). Eine materiale Gleichstellung, an die niemand dachte, hätte Humboldt nicht nur als undurchführbar, sondern auch als höchst unerwünscht betrachtet. Es gibt keinen Bildungszwang. Die Verschiedenheit der individuellen Lagen der Bürger, auch was Familie, Herkunft und Eigentumsverhältnisse betrifft, ist nicht Gegenstand staatlicher Gesetzgebung: „Ungleichheiten sind das Wesen der Welt, und dass etwas besser sey, als anderes, ist leicht zu dulden“, schreibt er im Litauischen Schulplan angesichts der Aussichtslosigkeit, die geplanten Reformen überall gleichmäßig durchzuführen (GS XIII 281)2).

Das Mittel, das diese befreiende Folge ermöglicht, die zentralistische Neuorganisation des Bildungswesens, wird sich mit der Zeit zu neuem Zwang verkehren: zu staatlicher Kontrolle und staatlichem Dirigismus im Bildungswesen. Das ist die so unerwünschte wie unvermeidliche Nebenwirkung des Heilmittels.
 

1) Lübbe, Hermann: W. v. Humboldts Bildungsziele im Wandel der Zeit, in: W. v. Humboldt, Vortragszyklus zum150. Todestag, Hg. Bernfried Schlerath, Berlin 1986, S. 241-258
2) Wilhelm von Humboldts gesammelte Schriften, hrsg. v. Albert Leitzmann u. a. 17 Bände, Berlin 1903-36, Neudruck 1967/68