Johann Gottfried Herder

„Humanitätsbriefe“

 

Wie auch viele andere seiner Zeitgenossen beschäftigte sich der Philosoph und Theologe Johann Gottfried Herder während der Epoche der Klassik mit der Frage nach der wahren Humanität. In seinem 1793 veröffentlichten Werk „Briefe zur Beförderung der Humanität“ sucht er zuerst nach den Begriff 'Humanität' definierenden Synonymen, weist diese aber sofort wieder zurück und verdeutlicht dann seine persönliche Auffassung von Humanität.

Die von ihm aufgezeigten Synonyme 'Menschenrechte', 'Menschenpflichten', 'Menschheit', 'Menschlichkeit', 'Menschenwürde' und 'Menschenliebe' beurteilt er jedoch schließlich als unbrauchbar:

Menschenrechte und Menschenpflichten sind nur in einem Zusammenspiel der beiden Begriffe im Sprachgebrauch üblich, „....beide beziehen sich aufeinander ....“, wodurch es ihm nicht möglich erscheint, die beiden ineinander verketteten Begrifflichkeiten zu einer die Humanität definierenden gedanklichen Einheit zusammenzuführen.

Des weiteren liegt Herders Auffassung zu Folge das von ihm gefundene Synonym Menschheit zu sehr am Menschen selbst ; ein Unterschied zwischen den Begriffen Menschheit und Mensch ist also nicht zu erkennen, was dazu führt, dass Herder den Begriff zurückweist, da ihm der Mensch als Verdeutlichung der Humanität zu niedrig erscheint. Aus eben dem selben Grund lehnt er auch die Menschlichkeit ab, diese hat „...so oft eine Nebenbedeutung von Niedrigkeit, Schwäche und falschem Mitleid angehängt .....“, führt also folglich zu stark in den emotionalen Bereich.

Bei Menschenwürde und Menschenliebe ist das gleiche Problem wie bei Menschenrechten und -pflichten wiederzufinden. Zudem bekräftigt Herder seine Antipathie dem Zwillingsgeschehen dieser Pleonasmen gegenüber mit der Argumentation, Liebe sei zu primitiv und emotional, als dass sie eine zutreffende Definition der Humanität darstellen könne. Eine weitere Untermauerung seiner Aversion stellt die Gegebenheit dar, dass das Menschengeschlecht zum Teil noch keine bzw. nicht die vollkommene Würde erlangt hat.

Nachdem es Herder nicht gelungen ist, den komplexen Begriff der Humanität in Form von Synonymen zu beschreiben, kommt er zu dem Schluß, Humanität sei der „... Charakter unseres Geschlechts...“, der zwar angeboren, aber dennoch immer wieder intensiviert werden muss. Er geht sogar soweit, die Humanität als „... Schatz und Ausbeute aller menschlichen Bemühungen ...[sowie die] Kunst unseres Geschlechts...“ zu bezeichnen. Für den Philosophen Herder beschreibt der Begriff Humanität also das Wesen des Menschen und umfasst all das, was ihn ausmacht, ihn repräsentiert und ihn somit von anderen Lebewesen, beispielsweise den Tieren, differenziert. In der Humanität befindet sich also Herders Ansichten zu Folge das Bewusstsein und der Verstand des Menschen, auf welche er sein Handeln stützt und dieses begründet. Außerdem verfügt er über das Potential, aus Erfahrungen anderer und der Kultur sowie der Geschichte des Menschen lernen zu können und z.B. Verhaltensweisen zu übernehmen, was zusammenfassend als Transferlösungskompetenz bezeichnet wird. Zudem im Wesen des Menschen wiederzufinden sind Eigenschaften wie Kritik- und Reflexionsfähigkeit, über die kein anderes Wesen verfügt. Auch ethische Normen und Wertvorstellungen , die mit dem Gewissen des Menschen verbunden sind und ohne die ein soziales Leben in der Gesellschaft weitgehend unmöglich wäre, gehören laut Herder zur Humanität. Des Menschen Fähigkeit, sich in andere Personen hineinversetzen zu können und ein gewisses Mitgefühl zu empfinden, die Gabe der Empathie, gehört ebenso zum Charakter des Menschen und somit zur Humanität. Herder manifestiert die Humanität als etwas, an dem immer fort gearbeitet werden muss, „... die Bildung zu ihr ist ein Werk, das unablässig fortgesetzt werden muss.“, da der Mensch sonst all die Eigenschaften, die sein Wesen und seinen Charakter ausmachen, wieder verliert und nicht mehr Mensch sondern vielmehr etwas dem Tierreich Ähnlichen sein kann.

„Das Göttliche in unserem Geschlecht ist also Bildung zur Humanität...“, mit dem Streben nach der Humanität nähern wir uns folglich einem Ideal, ja sogar etwas Göttlichem. Hierbei ist aber zu beachten, dass dieses (Humanitäts-)Ideal vom Menschen nie ganz erreicht werden kann, er jedoch niemals aufhören soll und darf, danach zu streben und zu versuchen ihm näher zu kommen.

Zusammenfassend stellt sich heraus, dass Herder zwar etliche Synonyme zur Definition von Humanität erforscht hat, diese jedoch aus den dargelegten Gründen umgehend negiert. Letztendlich kommt Herder zu dem Schluß, den alles umfassenden Begriff der Humanität beizubehalten und diesen lediglich durch seine individuelle Darlegung zu verfeinern.

 


 

Zitiert nach Johann Gottfried Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität (1793/97)